The funny thing about Gender

Ich habe nicht den Luxus, einfach sein zu dürfen. Ich werde immer als eine Person gesehen, die etwas macht. Als wäre mein Geschlecht etwas, das ich andere antue, und nichts, das einfach nur zu mir selbst gehört.

aus „Mehr als binär“ von Alok

Gender ist ein hochpolitisches Thema, ein umstrittenes Thema, ein kompliziertes Thema und ein einfaches Thema; Gender ist präsent, ist subtil, ist klar und ist unklar – aber in der Regel ist es alles gleichzeitig. Und es sind Momente wie dieser, in denen ich tatsächlich nachvollziehen kann, warum es überfordernd für Menschen sein kann. Auch weil es mir lange selbst so ging und, um ganz ehrlich zu sein, manchmal auch immer noch so geht. Not in a „Wo kommen diese ganzen Wörter plötzlich her?“-way, but in a „Gender? I hardly know her!“-way.

Das ist das mittlerweile 142. Mal, dass ihr hier in welcher Art und Weise auch immer von mir hört, aber es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass mein Gender Thema ist. Hier und da habe ich mich selbst als genderqueer oder ähnlich beschrieben und wer noch weiter zurückhört findet jede Menge Momente, in denen ich noch von mir selbst als „cis Frau“ spreche, häufig in Kombination mit weiteren Adjektiven wie zum Beispiel „gender nonconforming“. Aber so wichtig für mich persönlich diese Entwicklung auch war, mein Gender war selten mehr als eine Randbemerkung, Kontext für euch da draußen, um meine Position zu verstehen oder um euch ein besseres Bild von mir zu geben. Spielte es irgendwie immer eine Rolle? Ja schon, aber eine untergeordnete, etwas, das wie die Musik, die ihr gerade hört, im Hintergrund vor sich summte. Aber heute stelle ich es tatsächlich in den Vordergrund, auch wenn es gar nicht nur um mich gehen soll.

Eines meiner Langzeitprojekte, an dem ich schon seit einiger Zeit arbeite, ist eine Analyse, wie die mediale Präsenz von nicht-binären Personen wie zum Beispiel Bella Ramsey, Emma D’Arcy oder Liv Hewson die Popkultur der letzten Jahre geprägt hat. Artikel in konservativen Medien, die endlich they/them-Pronomen benutzten, publikumswirksame Interviews, in denen Gender zentrales Thema war, und dringend notwendige Debatten über binär getrennte Awardkategorien, die keinen Platz für Menschen jenseits dieses Verständnisses bieten. Die berechtigte Diskussion darüber, Personen dadurch auf ihr Gender zu reduzieren, hebe ich mir allerdings für einen anderen Tag auf.

All das fiel jedoch zusammen mit einer persönlichen Entwicklung und auch wenn weder die Existenz noch die mediale Präsenz der vorgenannten Personen einen direkten Einfluss darauf hatte, war es Bella Ramseys Tweet zum Trans Day of Visibility am 31. März 2023, in dem they die Bezeichnung „gender funky“ nutzte, dass ich zum ersten Mal dachte: „hey, das ist exakt das Label, nach dem ich schon die ganze Zeit suche“. Gender funky, ja, das war es, mein Gender war, nein, ist funky. Klar, es ist auch queer und fluide und nicht binär, aber keines dieser Label traf so richtig den Nagel auf den Kopf, dass mein Gender und wie ich es erlebe und ich wie ich es zeige irgendwie genauso weird ist wie ich als Person. Merriam-Webster führt verschiedene Definitionen für das Wort „funky“ und mit dem fast gleichnamigen Musikgenre habe ich genauso wenig am Hut wie Alice Schwarzer mit progressivem Feminismus, „odd or quaint in appearence or feeling“ [„seltsam oder urig im Aussehen oder Gefühl“] hingegen… japp, that’s it. I’m that gender funky weirdo your parents warned you about, oder so. Mittlerweile habe ich genderfunky um ein weiteres Label ergänzt: genderwobbly. Passt es aus welchen obskuren Gründen auch immer viel besser als genderfunky? Beschreibt es mein Gender auf eine Art, wie es genderfunky nicht könnte? Resoniert es mit meiner Selbstwahrnehmung wie noch kein Label zuvor? Nö, aber es ist eine Doctor Who-Referenz und wenn ich irgendwo in meinem Leben eine Anspielung auf die Blue Box Show unterbringen kann, The Master knows I will.

Wofür jetzt aber diese ellenlange Abhandlung über diesen einen bestimmten Zeitraum? Weil er mir nicht nur ein neues Label eingebracht, sondern auch einen ungewohnten Optimismus bei mir ausgelöst hat. Nicht umsonst trägt mein eben erwähntes Projekt den Titel “The Rise of Non-Binary Actors”, weil ich von ganzem Herzen glaube, dass sich in der Medienlandschaft und Popkultur etwas verändert hat, und zwar ausnahmsweise zum Besseren. Das „Negroni Sbagliato“-Tiktok wurde zum Meme und war wahrscheinlich das Beste, was der Meme-Landschaft in den letzten zehn Jahren passiert ist. Zumindest bis deutsche Unternehmen es für sich entdeckt hatten, aber nichtsdestotrotz: Es war eine schöne Zeit als eine nicht binäre Person zur Ikone des Internets gekrönt wurde und auch wenn der Drink selbst wie Hustensaft schmeckt (don’t @ me), hier waren wir, all wir cisn’t people, über Monate vereint mit Queers und Non-Queers gleichermaßen in unserer Bewunderung für Queen Rhaenyra Targaryen, Ellie Nolastname oder Van Palmer – oder wie in meinem Fall: Für alle drei.

Aber wie so oft müssen alle guten Dinge einmal enden und wenn ich jetzt hier alles aufführen würde, was seither alles so passiert ist, um meinen gerade gewonnen Optimismus im Keim zu ersticken, hätte dieser Text wahrscheinlich Romanlänge. Stattdessen beschränke ich mich auf ein Ereignis, das auch ausschlaggebend für den Denkprozess war, der schlussendlich überhaupt zu dieser Aneinanderreihung von Silben und Lauten geführt hat.

Eine externe Firma war zwecks Erbringung einer Dienstleistung in unserem Bürogebäude. Ich halte es wage, weil die Details hier wirklich keinerlei Mehrwert hätten. Eine Kollegin wollte den nächsten Termin abstimmen und wie das anscheinend bei Smalltalk so ist, erzählte die andere Person ihr in dem Zusammenhang davon, dass die Firma die Arbeit kaum schaffe und händeringend nach Mitarbeitern [sic] suche. So weit nicht ungewöhnlich. Ob das jetzt generisches Maskulinum war oder die Firma tatsächlich nur nach Mitarbeitern sucht, who knows, aber das spielt auch keine große Rolle, das allseits beliebte „Mitarbeiter (m/w/d)“ wäre zwar Grund genug für einen eigenen Rant, aber ist weder Thema noch Grund dieses Textes. Vielmehr der Satz, der danach fiel: „Man findet ja keine vernünftigen Bewerber mehr und jetzt auch mit diesem divers und dem ganzen Scheiß“. He did it, he said the thing!

Meine Arbeitsstelle ist nun beim besten Willen kein Safespace und ich habe – leider – gelernt, ein ziemlich dickes Fell zu haben, aber manchmal habe ich meine Schilde nicht ganz so hoch, vor allem nicht morgens um kurz nach 8 Uhr, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und nur zufällig nebenbei vermeintlichen Smalltalk aus dem Nebenraum mithöre. Es gibt viele Dinge, die ich in diesem Moment hätte tun können, z. B. eine Diskussion vom Zaun brechen und versuchen diese Person davon zu überzeugen, dass „divers“ kein Scheiß ist. Meinen Chef informieren, dass ich es nicht in Ordnung finde, dass hier jemand solche Dinge sagt. Nun, ich entschied mich in einem Discord-Channel zu venten und mir den Tag nicht davon versauen zu lassen, denn schlussendlich war das doch nur irgendeine für mich völlig unbedeutende Person, die nichts anderes sagte als zigtausende andere Menschen on- und offline es sowieso jeden Tag tun. Also who cares? Whatever, Schnee von gestern. Tja, wenn ich mir das erfolgreich eingeredet hätte, säße ich nun nicht hier und hätte über 1500 Wörter geschrieben.

Etwas hat in mir weitergebrodelt, aber es war gar nicht so sehr der Stich dieses abwertenden Kommentars, der ja schließlich auch nur indirekt mir gegolten hat. Hätte diese Person dasselbe gesagt, wenn sie gewusst hätte, dass einer dieser „diversen“ Menschen nur einen Raum weitersitzt? Wahrscheinlich nicht, aber ich denke, ich muss nicht erklären, warum das keinen Unterschied macht. Was in meinem Hinterstübchen weiter vor sich hin gearbeitet hat war viel mehr die Frage: Warum brauchte es so einen Moment, damit ein Impuls durch meine Synapsen gesendet wird, der mich mehr oder minder überhaupt erst daran erinnert, was mein Gender überhaupt ist? Wenn mein Gender in einem Wald umfällt und niemand hört es, ist es überhaupt ein Gender? Ist mein Gender gleichzeitig existent und nonexistent, solange niemand nachschaut? Wenn es niemand beobachtet, ist mein Gender dann eine Welle? Ist mein Gender etwa ein Quantenteilchen? Und die Antwort ist: ja, anscheinend schon.

Als ich diesen Text angefangen habe, hatte ich nicht vor, Quantenteilchen bzw. den Bepbachtereffekt als Metapher zu verwenden, aber es scheint mir ein erstaunlich guter Vergleich zu sein. Solange weder ich noch andere sich mit meinem Gender beschäftigen, ist es einfach diese theoretische Welle, die sich zwar beschreiben, aber nicht wirklich nachweisen oder belegen lässt, die nur genderwellig vor sich hin genderwobblet. Habe ich aber einen Grund, mich damit zu beschäftigen, bekommt es plötzlich eine Form und wird greif-, registrier- und fühlbar für mich. Dann ist es auf einmal etwas, etwas, dass zwar immer noch nur ein klitzekleiner Teil, quasi ein Teilchen, von mir ist, aber es ist da und hat Bedeutung.

So, nachdem wir all das geklärt haben, was ist denn jetzt so lustig an Gender? Eine Menge eigentlich, wenn man mal so richtig darüber nachdenkt. Da ist dieses nicht greifbare, nur schwer definierbare… Etwas in uns – oder eben auch nicht -, das einen enormen Einfluss auf unser Leben hat, das dafür sorgt, dass wir von den Menschen um uns herum entweder akzeptiert werden oder eben auch nicht und eigentlich ist es gar nicht mehr als ein kleines Teilchen eines großen Ganzen, das eine Person ausmacht. Ja, okay, das war jetzt gar nicht so haha-lustig, aber doch, genau das ist es, the funny thing about (my) gender.

Ungefähr 95 % der Zeit ist es praktisch nicht da. Es ist nicht weg oder verschwunden, aber ich sitze nicht auf meinem queeren Hintern an meinem Schreibtisch und fühle mich genderfunky. Genderqueerness ist kein kleines grünes Figürchen ala Inside Out in meinem Kopf und ich bin auch nicht in einer genderwobbly Stimmung. Ich bin einfach genderqueer, -funky, -wobbly, -nonconform, kinda non-binary, irgendwo zwischen den Begriffen und dieses Sein ist für mich genauso alltäglich, automatisch und nebensächlich wie Atmen. Die Momente, in denen ich es tatsächlich spüren und beinahe verorten kann, sind um ein Vielfaches seltener als die, in denen ich einfach nur so vor mich hin existiere.

Es sind die Momente, in denen ich Freude spüre, zum Beispiel weil ich mitgedacht und/oder miterwähnt werde oder weil Diskussionen geführt werden, in denen es darum geht, Menschen wie mich tatsächlich einzubeziehen.

Und es sind Momente, in denen ich Ziel bin, sei es absichtlich oder zufällig, in denen mal wieder irgendjemand irgendwo unbedacht und vor allem unerschrocken eine abfällige Bemerkung macht. Oder in denen mich jemand mit einem Begriff anspricht, der zwar nicht ganz falsch ist, aber eben auch nicht ganz richtig. Es ist okay für mich, wenn weibliche Bezeichnungen für mich benutzt werden – Betonung auf: für mich -, wenn ich mit Frau X angesprochen werde, weil es schlussendlich nicht wirklich falsch ist. Nur ist eben auch nicht wirklich richtig, aber es liegt wiederum auch gerade einmal so viel daneben, dass diese im Hintergrund vor sich hin rauschende, genderwobbly Welle zu einem Genderteilchen.

Also, wie kann es sein, dass etwas gleichzeitig so wichtig und trotzdem so nebensächlich ist? Nun, es ist wie mit so ziemlich allem im Leben: einfach ambivalent, fast so, als wäre es mehr als nur binär.

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